Pressebericht: Christian Morgenstern – „Nur wer sich wandelt, bleibt mit mir verwandt“

„Kultur im Gewölbekeller“ – Pressebericht des Iserlohner Kreisanzeigers
(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des IKZ)

Datum: 5. April 2016
Veranstaltung: Christian Morgenstern – „Nur wer sich wandelt, bleibt mit mir verwandt“

Christian Morgenstern in einer Frau „wiedergeboren“

Von Helmut Rauer
Letmathe. Kann es sein, dass der große Dichter Christian Morgenstern im Körper einer Frau wiedergeboren ist? Sich bei aller Kühnheit des Gedankens gegen diese Vorstellung zu sträuben, fiel dem Autor dieser Zeilen am Dienstagabend im Gewölbekeller von Haus Letmathe schwer. Denn die Künstlerin Anja Bilabel saß am Pult wie man sich den Dichter am Schreibtisch vorstellt, mal flott plaudernd, dann nachdenklich innehaltend, mal träumerisch mit dem Bleistift spielend, mal in sich selbst versunken, mal mit dem Blick zum Publikum Dabei formulierte sie Sätze, als wären sie taufrisch erdacht und zum allerersten Mal – sozusagen jungfräulich – über ihre Lippen gekommen, die Lippen des 1914 gestorbenen Lyrikers, der zu den großen deutschen Literaten gehört. Den mehr als 50 Zuhörern wurde eine außergewöhnliche Dichterlesung geboten. Anja Bilabel setzte ihr ganzes Talent als Schauspielerin, Regisseurin und Sprecherin ein, um die Lebens- und Gedankenwelt des Christian Morgenstern in intensiver, einfühlsamer Weise zugänglich zu machen.

Anja Bilabel trug, begleitet von Claudia Buder am Akkordeon (links), im Gewölbekeller Gedichte und Prosa von Christian Morgenstern vor. Foto: Helmut Rauer

Anja Bilabel trug, begleitet von Claudia Buder am Akkordeon (links), im Gewölbekeller Gedichte und Prosa von Christian Morgenstern vor. Foto: Helmut Rauer

Sie trug die Gedichte eben nicht mit der Absicht vor, sie möglichst schön wiederzugeben, sondern zu erspüren, wie sie entstanden sein könnten. Sie versuchte, Morgensterns Werke, indem sie auch aus dessen persönlicher Korrespondenz zitierte, in Zusammenhänge einzubetten. So beleuchtete sie die Lebensgeschichte und die Gedankenwelt des Dichters, der viele Jahre bis zu seinem Tod unter einer schweren Krankheit litt, sich aber dem Diktat des Leidens ebenso wenig beugen wollte wie den Wünschen des Vaters und den gesellschaftlichen Konventionen.

Was Anja Bilabel besonders gut herausarbeitete, waren die philosophischen Gedanken Morgensterns. Der beeindruckende theologische Tiefgang ließ ein sehr menschenfreundliches Gottesbild erkennen, das im gegenseitigen Aufeinanderangewiesen sein von Gott und Mensch gipfelt.

Im zweiten Teil des Abends gab es dann viel zu schmunzeln und zu lachen bei den humorvollen, oft skurril-grotesken Gedichten wie dem „Mondkalb“ oder dem „Bahnvorsteher“. Claudia Buder untermalte die jeweilige Stimmung mit sparsamen, aber umso eindringlicheren Akkordeonklängen von meditativer Melancholie bis zum heiteren Tanz.